Eigentlich hätte es eine weitere Episode der Figur werden
sollen. Nur: es hat 30 Grad und die Figur gibt es nur mit mindestens drei
Schichten Kleidung und Schal. Das wäre der Wahnsinn. Also beschließe ich, dass
es etwas anderes sein wird; einfach nur, weil ich Lust habe zu laufen.
Schon vor einer Weile hatte ich die Idee, mit ein paar
anderen komplett schwarz bekleidet und schwarz geschminkt einen Walk Act zu
machen. Der Grundgedanke: kein direkter Kontakt zu Leuten, kein Körperkontakt
untereinander, keine Requisiten. In der Öffentlichkeit schminken und das machen
was Ruth Zaporah in ihrer Action Theater® Practice macht: Nicht auf die Welt
reagieren, sondern die Reize von außen auf die innere Erlebniswelt treffen lassen
und die dadurch ausgelöste Veränderung über den Körper nach außen bringen. So
ungefähr zumindest habe ich es aus den Trainings mit ihr mitgenommen. „Don’t
react, respond!“; keine Konzepte, nur direktes Erleben; kein Kopfkino, nur Körperimpulse.
Keiner hat zeit, also probiere ich es alleine aus. Im
Gegensatz zur Figur also ein „neutrales“ Äußeres, das dennoch Kostüm und Maske
ist und so die „Privatperson“ dahinter zurück treten kann. Eine art neutrale
Ganzkörpermaske. Die Aufgabe wird sein, nur körperlich wahrzunehmen, was sich
verändert und den Impulsen, die daraus entstehen nachzugeben.
Ganz so ist es dann aber doch nicht. Ich gehe in den Park am
Sendlinger Tor und schminke mich auf einer Parkbank. Schminke und Schwamm
stecke ich ein, als ich fertig bin. Den schwarzen Anzug trage ich schon. Ich
setze eine Melone auf und ziehe mir schwarze Handschuhe an. Sonst habe ich
nichts dabei, muss also im Gegensatz zur Figur keinen Koffer und auch sonst
nichts tragen.
Noch bevor ich eine Chance habe, mein Spiegelbild ganz zu
sehen geht es los. Es ist ein sehr klares inneres Erleben: schlecht
gelaunt, getrieben, introvertiert und misantrop. Ich achte zuerst auf meinen Atem.
Und schon nach den ersten Zügen wird das ausatmen geräuschvoll. Eine Art
genervtes Schnaufen. Ich gehe die Sonnenstraße lang und blöffe in einer art stimmlos-geschnauften
unartikulierten Stimme die Passanten an, wenn sie mir im Weg sind. Ich grummele
vor mich hin und gehe schnell und hektisch. Meine Unterarme schlendern unkoordiniert
mit. Ich gehe gebückt, Blick nach unten, den Hals angezogen, der Mund halboffen
mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Immer wieder kommen angewiderte Laute aus
meinem Mund und ich artikuliere abwehrend mit meinen Armen. Beim gehen kommen
immer wieder Bewegungsimpulse die zu überraschenden Richtungswechseln führen.
Überraschend auch für die Passanten um mich herum.
So laufe ich ein Stunde durch die überfüllte Innenstadt,
schnauze in einer Fantasiesprache wahllos Passanten an und brabbel mies gelaunt
Laute vor mich hin.
Auf eine Art ist es angenehm unspektakulär. Ich (der private
Thomas) bin im Hintergrund und beobachte alles genussvoll. Wie auf dem Rücksitz
eines Autos, den Fahrer beobachtend und der Fahrer bin ich selbst. Immer wieder „falle
ich raus“; bin ich ich, der private Thomas. Der Weg zurück ins Innenleben der
maskierten Person geht über den Atem. Auf den Atem achten und ihn sich entwickeln
lassen.
Streckenweise nehme ich die Umwelt kaum wahr. Überquere den
Altstadtring am Isartor ohne zu gucken. Blöffe sogar einen Security Menschen
neben einer teuren schwarzen Limousine in der Maximillliansstraße an, der mich
böse anschaut. Angst habe ich keine. Die Maske funktioniert; und zwar in erster
Linie als Schutz für mich; als „Freibrief“.
Die Reaktionen der Leute sind – so ich sie mitbekomme – sehr
unterschiedlich. Manche lachen über den offen ausgelebten Ekel und das offen
gezeigte angenervt sein. Manche erschrecken, einige weichen aus. Solange ich in
der „Maske“ bin ist mir das alles gleich.
Irgendwann komme ich am Marienplatz an. Im Innenhof des
Rathauses ist eine öffentliche Toilette. Ich zahle 50 Cent gehe durchs
Drehkreuz und wasche mir am Wachbecken die Farbe aus dem Gesicht. Mit dem Sakko
und der Melone in der Hand verlasse ich die Toilette und trete in die warm
Sonne, die ich erst jetzt wieder wahrnehme. Die innere Anspannung, die Hektik,
die „schlechte“ Laune fallen ab und ich werde sehr ruhig. Ich bin wieder der
„normale“ Thomas.
Jetzt, eine Stunde später, kommt es mir vor wie eine Art
öffentliches Training, weniger wie eine Performance. Mag sein, dass es von
Außen anders wahrgenommen wurde, aber für mich war es nur die Aufgabe im Innen
zu bleiben, ohne Konzepten oder Vorstellungen nachzugehen. Wenn sie kamen habe
ich sie genommen, vielleicht kurz „gespielt“ und dann weiterziehen lassen. Der
Schlüssel dazu war jedes Mal der Atem und das Spüren des Körpers. Es ist
Training. Eben nur in einer Umgebung die nicht „geschützt“ ist. Die Passanten
waren dabei kein Publikum, sondern eben diese Umgebung. Ein sehr pro-aktiver Kontext.
Vielleicht sogar Mitspieler...