Samstag, 7. Juli 2012

Intermezzo - München

Eine Art öffentliches Training

Eigentlich hätte es eine weitere Episode der Figur werden sollen. Nur: es hat 30 Grad und die Figur gibt es nur mit mindestens drei Schichten Kleidung und Schal. Das wäre der Wahnsinn. Also beschließe ich, dass es etwas anderes sein wird; einfach nur, weil ich Lust habe zu laufen.

Schon vor einer Weile hatte ich die Idee, mit ein paar anderen komplett schwarz bekleidet und schwarz geschminkt einen Walk Act zu machen. Der Grundgedanke: kein direkter Kontakt zu Leuten, kein Körperkontakt untereinander, keine Requisiten. In der Öffentlichkeit schminken und das machen was Ruth Zaporah in ihrer Action Theater® Practice macht: Nicht auf die Welt reagieren, sondern die Reize von außen auf die innere Erlebniswelt treffen lassen und die dadurch ausgelöste Veränderung über den Körper nach außen bringen. So ungefähr zumindest habe ich es aus den Trainings mit ihr mitgenommen. „Don’t react, respond!“; keine Konzepte, nur direktes Erleben; kein Kopfkino, nur Körperimpulse.

Keiner hat zeit, also probiere ich es alleine aus. Im Gegensatz zur Figur also ein „neutrales“ Äußeres, das dennoch Kostüm und Maske ist und so die „Privatperson“ dahinter zurück treten kann. Eine art neutrale Ganzkörpermaske. Die Aufgabe wird sein, nur körperlich wahrzunehmen, was sich verändert und den Impulsen, die daraus entstehen nachzugeben.

Ganz so ist es dann aber doch nicht. Ich gehe in den Park am Sendlinger Tor und schminke mich auf einer Parkbank. Schminke und Schwamm stecke ich ein, als ich fertig bin. Den schwarzen Anzug trage ich schon. Ich setze eine Melone auf und ziehe mir schwarze Handschuhe an. Sonst habe ich nichts dabei, muss also im Gegensatz zur Figur keinen Koffer und auch sonst nichts tragen.

Noch bevor ich eine Chance habe, mein Spiegelbild ganz zu sehen geht es los. Es ist ein sehr klares inneres Erleben: schlecht gelaunt, getrieben, introvertiert und misantrop. Ich achte zuerst auf meinen Atem. Und schon nach den ersten Zügen wird das ausatmen geräuschvoll. Eine Art genervtes Schnaufen. Ich gehe die Sonnenstraße lang und blöffe in einer art stimmlos-geschnauften unartikulierten Stimme die Passanten an, wenn sie mir im Weg sind. Ich grummele vor mich hin und gehe schnell und hektisch. Meine Unterarme schlendern unkoordiniert mit. Ich gehe gebückt, Blick nach unten, den Hals angezogen, der Mund halboffen mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Immer wieder kommen angewiderte Laute aus meinem Mund und ich artikuliere abwehrend mit meinen Armen. Beim gehen kommen immer wieder Bewegungsimpulse die zu überraschenden Richtungswechseln führen. Überraschend auch für die Passanten um mich herum.

So laufe ich ein Stunde durch die überfüllte Innenstadt, schnauze in einer Fantasiesprache wahllos Passanten an und brabbel mies gelaunt Laute vor mich hin.

Auf eine Art ist es angenehm unspektakulär. Ich (der private Thomas) bin im Hintergrund und beobachte alles genussvoll. Wie auf dem Rücksitz eines Autos, den Fahrer beobachtend und der Fahrer bin ich selbst. Immer wieder „falle ich raus“; bin ich ich, der private Thomas. Der Weg zurück ins Innenleben der maskierten Person geht über den Atem. Auf den Atem achten und ihn sich entwickeln lassen.

Streckenweise nehme ich die Umwelt kaum wahr. Überquere den Altstadtring am Isartor ohne zu gucken. Blöffe sogar einen Security Menschen neben einer teuren schwarzen Limousine in der Maximillliansstraße an, der mich böse anschaut. Angst habe ich keine. Die Maske funktioniert; und zwar in erster Linie als Schutz für mich; als „Freibrief“.

Die Reaktionen der Leute sind – so ich sie mitbekomme – sehr unterschiedlich. Manche lachen über den offen ausgelebten Ekel und das offen gezeigte angenervt sein. Manche erschrecken, einige weichen aus. Solange ich in der „Maske“ bin ist mir das alles gleich.

Irgendwann komme ich am Marienplatz an. Im Innenhof des Rathauses ist eine öffentliche Toilette. Ich zahle 50 Cent gehe durchs Drehkreuz und wasche mir am Wachbecken die Farbe aus dem Gesicht. Mit dem Sakko und der Melone in der Hand verlasse ich die Toilette und trete in die warm Sonne, die ich erst jetzt wieder wahrnehme. Die innere Anspannung, die Hektik, die „schlechte“ Laune fallen ab und ich werde sehr ruhig. Ich bin wieder der „normale“ Thomas.

Jetzt, eine Stunde später, kommt es mir vor wie eine Art öffentliches Training, weniger wie eine Performance. Mag sein, dass es von Außen anders wahrgenommen wurde, aber für mich war es nur die Aufgabe im Innen zu bleiben, ohne Konzepten oder Vorstellungen nachzugehen. Wenn sie kamen habe ich sie genommen, vielleicht kurz „gespielt“ und dann weiterziehen lassen. Der Schlüssel dazu war jedes Mal der Atem und das Spüren des Körpers. Es ist Training. Eben nur in einer Umgebung die nicht „geschützt“ ist. Die Passanten waren dabei kein Publikum, sondern eben diese Umgebung. Ein sehr pro-aktiver Kontext. Vielleicht sogar Mitspieler...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen